Hörprobe

Aus ›Schröder erzählt: Sauna Luxemburg‹, 7. Folge

 

Leseprobe aus >Schröder erzählt<, Sonderausgabe zur 20. Folge: >So-ja-Bohnen>, >Maggi pur< und >Gewissensbisse< erschienen im Februar 1995.

So-Ja-Bohnen

 

Und nun geschah das Sonderbarste, was ich während dieser Petrarca-Preis-Verleihung sah. Die Leute pflückten Lavendel, und das Porträt des toten Dichters Rolf Dieter Brinkmann auf einer Spanplatte wurde vom ZDF an die provenzalische Mauer gelehnt und abgefilmt. Genau die Atmosphäre, über die Brinkmann sich zu Lebzeiten schreibend ausgeätzt hätte, über dieses Lämmeressen, den Lorbeermuff, die Witwe... na ja, und die Tischreden. Ich war beim Sonderbaren, ach so ja, die Lavendelwiese ­ alles verteilte sich, da sehe ich diesen unglücklichen Handke, wie er auf einem leichten Hang Kobolz schießt. Im Turnsport nennt man das ja wohl >Rolle vorwärts<. Macht doch dieser Fiti tatsächlich drei unbeholfene Rollen auf einer Lavendelwiese. Das mußt du dir einmal vorstellen: Einer, der es nicht kann, jemand, der nicht fröhlich ist, der ein Erwachsener ist, der Schriftsteller ist und obendrein einer, der Handke heißt, im Lavendel mit drei, vier mißratenen Rollen nach vorn!

Die ganze Gesellschaft wieder in den Bus, Hubert Burda half dem Fahrer auf französisch: »bon bon bon«, weil das Wenden schwierig war. Zurück zum Hotel, umziehen für den Festakt, die eigentliche Verleihung des Preises. Zwar waren die verunglückte Besteigung des Mont Ventoux und Bazon Brocks Lorbeerkranz, boing, klatsch, Maleen Brinkmann auf den Dez bereits gelaufen, aber nun sollte es zum Kosmokulturellen übergehen.

Währenddessen ein neuer Fernsehauftritt von Handke. Er hatte sich eine Mineralwasserflasche organisiert. Um ganz nebenbei Lockerheit zu zelebrieren, goß er sich das Perrier hinten in den Kragen und sprach vor der laufenden Kamera: »Erfrischend!« Danach zog auch er sich um und trug nun ein weißes Oberhemd und die schwarze Samtjacke. Wir fuhren nach Roussillon ins >David<, das hat einen Stern und man blickt auf die bunten Ockerfelsen. Im Innenhof des Restaurants wurden dann weitere Reden gehalten für die internationale Welt der Literatur. Drei Ritter standen tapfer dabei mit ihren kleinen Röschen im Knopfloch, uralt, Ehrenlegion, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnten. Handke probte sie auf französisch an. Diese Kulturfranzosen haben ja ein ungeheures Stehvermögen, solche alten bedeutenden Menschen kannst du notfalls mit der Bahre hochkippen, bomm, dann stehen sie auch noch senkrecht, wenn einer auf deutsch über Literatur redet und ihnen Brinkmanns endlos langes >D-Zug-Gedicht< vorliest. In seiner Ansprache konnte sich Handke die Spitze nicht verkneifen, daß Literatur keinesfalls ein »verächtliches Abtun abgelebten Lebens sein dürfe«. Den Schuh sollte ich mir wegen >Siegfried< anziehen, der zwei Jahre zuvor erschienen war. Nach seinen Ausführungen fragte er aufgeräumt das Tramperpärchen: »Sie lieben sich wohl sehr, weil Sie sich immer streicheln?!« Die monegassische Reiseführerin wurde langsam krötig, denn das Essen wartete.

Die Jakobsmuscheln und das Huhn in Blätterteig waren verzehrt, die Sorbets schon reingezogen, nun wurden die Davidoffs angezündet, und Hubert Burda schwärmte von Lucia di Lammermoor. Es ging zum gemütlichen Teil über, Michael Krüger berichtete aufgeregt, wie er beim Herflug in einer Privatmaschine in Wetterturbulenzen geraten sei, und der Pilot in den tiefschwarzen Wolken über den Vogesen einen gräßlichen Looping nach dem anderen geflogen habe. Interessanter fand ich, daß er mir dann angedudelt erzählte, Brinkmann sei eigentlich nur ein Irrer gewesen. Er hatte ihn auf einem Bahnhof kurz hinter Graz vom Zugfenster aus beobachtet ­ sie kamen beide vom >Steirischen Herbst<. Rolf Dieter stand auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig, in Anzug und Weste, obwohl es sehr warm war, riß Block und Bleistift aus dem Koffer, notierte etwas, legte Block und Bleistift wieder zurück, schleppte den Koffer zehn Meter weiter, riß die Schreibutensilien wieder heraus. Zehnmal sei das so gegangen, vollkommen verrückt sei dieser Brinkmann da herumgegeistert. Das war nun wirklich verrückt: Ein Mitglied der Petrarca-Preis-Jury, der ein Lyriker ist und außerdem Verleger des Carl Hanser Verlags, steckte mir vertraulich, er habe einen Dichter beobachtet, der eigentlich nur ein Verrückter gewesen sei. In Juan-les-Pins fand ich später einen Brief von Wolf Wondratschek vor, darin beklagte der sich bei mir, daß nicht er der Preisträger sei: »Gegen einen Toten kommt man eben nicht an«. 


Leseprobe aus ›Schröder erzählt: Menschen wie du und ich‹, 19. Folge

 

Leseprobe aus ›Schröder erzählt: Menschen wie du und ich‹, 19. Folge
 


Der Jaguar


Als ich noch die Kleider des jungen Mannes trug, ging’s bei mir natürlich auch um Mode und den Giaguaro. So nannte ich ihn, weil das Auto damals noch auffiel; in Mailand hopsten mir kleine Jungs vor die Kühlerhaube, zeigten mit dem Finger auf die Limousine und schrien aufgeregt: »Giaguaro! Giaguaro!« Gleich nach dem Umzug nach Frankfurt hatte ich bei Lindner, der berühmten Jaguar-Vertretung, angerufen. Es besuchte mich ein englisch gewandeter Verkäufer, wie eben Männer aussehen, die mit Nobelkarossen handeln: Harris-Tweed-Jacke mit Lederknöpfen, rote Pochette, abgestimmt auf den roten Faden des Jacketts, Flanellhose, Derby-Fullbrogues, ein Gentleman mit Halbglatze. 

Er fuhr in einem brandneuen XJ 6 vor, die neue Jaguar-Generation. Ich aber wollte das alte Modell aus dem Prospekt – aaah! kein Prospekt, es war ein Buch mit Leinenfalz, heute müsstest du eine Schutzgebühr von dreißig Euro dafür hinlegen, gedruckt auf hundertvierzig Gramm Kunstdruckpapier, prächtig! Also fragte ich ihn: »Ist denn der 420 G nicht mehr lieferbar?« Da war er in seinem Element: »Ganz klar, das ist der wahre Jaguar! Wir haben zufällig einen am Lager, ist gerade aus einem Konkurs zurückgekommen, hat nur dreißigtausend auf dem Tacho, den können sie fünfhunderttausend Kilometer fahren.« Ich kaufte den Wagen für dreißigtausend Mark. Er war sandfarben-metallic lackiert, aber das Wort ›metallic‹ musst du schnell vergessen. Die Sandfarbe glänzte nicht mehr als heute jeder Wasserlack. Wunderbar! Das letzte edle Auto, das Jaguar baute. Da warst du was drin als kleiner Mensch. 

Etwa sieben Jahre früher, ich hatte gerade als Werbeassistent bei Kiepenheuer und Witsch angefangen, machte ein Buchmesseritual mir nachhaltigen Eindruck. Nein, Ritual ist nicht das richtige Wort…, es war auch kein Auftritt, eher eine Anfahrt. Einen Tag bevor die Messe ihre Pforten öffnete, rauschte die Phaidon Press aus London aufs Gelände. Neben dem Ehepaar Miller und Miss Alice Hammond war das Auto angefüllt mit Neuerscheinungen und Plakaten des Verlags, dazu kam das Privatgepäck. Der Auspuff berührte fast den Boden, ein Wunder, dass die Achsen nicht brachen. Ich entlud den Wagen, während die Verleger sich die Beine vertraten nach ihrer strapaziösen Reise von Calais nach Frankfurt in diesem Jaguarschiff. Das war nicht etwa ein MK II, die Volksausgabe, sondern ein Ding von den Dimensionen eines Bentley mit zwei Tanks à sechzig Liter, die brauchte man auch, denn er soff so an die dreißig Liter, ohne Peitsche und Sporen. Ein Vorläufer meines 420 G, der mir – denn darauf läuft die Geschichte ja hinaus – so gut gefiel. Seine Nußbaumverkleidung, die Lederpolster, die kleine verspiegelte Bar im Fond mit herunterklappbarem Tischchen aus Walnußholz und Messing. Ja, ganz richtig, eigentlich gehörten dort eine Flasche Whisky und zwei Kristallgläser hinein, aber so weit ließ ich es nun doch nicht kommen. 

Nun ist endlich auch dieses Geheimnis gelüftet, warum ich mir nach Gründung des März Verlags und der Olympia Press doch nicht den grünen Porsche Carrera kaufte, wie ich es in dem Gespräch mit Rolf Dieter Brinkmann und Ralf-Rainer Rygulla in den ersten ›März-Texten‹ angekündigt hatte. Der Eindruck des Mister-Miller-Automobils war einfach übermächtig. Solche Karossen gab es auf dem Kontinent extrem selten, jede Scheibenwischerschraube musste bei British Leyland bestellt werden, es dauerte manchmal drei Monate, bis Ersatzteile kamen. In der Zwischenzeit wurde der Defekt von Lindner irgendwie balkanisch überbrückt. Und vom 420 G, gab es eben in Frankfurt nur das eine Exemplar, daneben natürlich ein Dutzend Mark Twos und ebenso viele E-Typen, die zigarrenförmigen Sportwagen. 

Eigentlich wollte ich den 420 G in Grün, wie er im Prospekt abgebildet war, aber der hatte ein Jahr Lieferzeit. Und nun stand zufällig bei Lindner das einzige Exemplar Hessens auf dem Hof, sandfarben. Er kostete nach jetziger Kaufkraft etwa soviel, wie man heute für einen großen BMW oder einen neuen Audi hinlegen muss, also vom Preis her ist das nicht der Rede wert. Dennoch war der Wagen die beste Werbeinvestition für die grünen Bücher der Olympia Press und die gelben des März Verlags. Jede zweite Pressemeldung über die Verlage beschäftigte sich mit dem Jaguar. Dieses erzkonservative, seltene Gefährt in Verbindung mit Avantgarde-Literatur, linken Büchern und Pornographie gehörte zur Story. An diesem Ding entlang könnte man die Chronik des ersten März Verlags erzählen, sozusagen als Auto-Biographie. 

Das will ich jetzt aber nicht versuchen, vielmehr aus gegebenem Anlass über eine Begebenheit aus jüngster Zeit berichten, zuweilen drängen sich die laufenden Ereignisse ja geradezu in die Berichte über die vergangenen Zeiten. Während der Auseinandersetzungen um die Olympia Press hatte sich Maurice Girodias nach Frankfurt begeben, um mir das vermeintliche Verlagsvermögen zu entreißen mit Hilfe seines Anwalts Ulrich Fritze und der bigotten Natter Peter Beitlich, die ich an meinem Busen nährte und die sich wegen ihrer Nennung im ›Siegfried‹ später in Hans-Peter Fichter umtaufte. Damals konnte dieser Beitlich noch nicht genug Englisch, deshalb engagierte Maurice eine sonderbare Figur als Porno-Cheflektor, auch ein Jaguar-Fahrer, allerdings hatte er nur den kleinen Mark Two. Verglichen mit mir als Großwichtigtuer also ein Kleinwichtigtuer. 

Er war soeben aus New York zurückgekehrt, ohne dort Karriere gemacht zu haben, und anschließend als geborener Pointenkiller bei ›Pardon‹ ebenfalls gescheitert, ich rede von Herbert Feuerstein. Mit vereinten Kräften – es ging ja auch um Rache, sie wollten mich nicht nur ökonomisch treffen – versuchten nun Girodias, Beitlich, dieser Feuerstein und der Anwalt Fritze, mir das wegzunehmen, von dem sie dachten, dass es mein Liebstes sei, nämlich meinen »Big Gee«. Jedoch: Nicht nur Verlage gehen kaputt, auch Autos. Ich hatte diese seriöse Maschine zu sehr geschrubbt, bin mit dem Luxusmobil eben nicht englisch gefahren, sondern, wann immer es ging, mit zweihundert, dazu viel über die Alpen und durch die Toskana auf der Suche nach einer standesgemäßen Casa colonica. Nach zwei Jahren waren hundertdreißigtausend auf dem Tacho. Und da dieser 4,2 l Sechszylinder für solche Rasereien nicht gebaut war, sondern nach einem gentlemenliken Fahrer verlangte, keinen Verkehrsverbrecher, wie ich damals einer war, lief er nur noch auf fünfeinhalb Zylindern. 

Die Anteile der Olympia Press GmbH waren soeben an Girodias übergegangen, dazu gehörte laut Vertrag auch der Jaguar. In einem Akt nibelungischer Entreißung verlangte der Rechtsanwalt Fritze, nachdem die letzten Paraphen auf dem Übergabevertrag angebracht waren, mit kaltherzigem Hasenzahnlächeln die Schlüssel. Ich gab sie ihm mit sardonischem Zucken im Gesicht, er meinte wohl, ich sei bis ins Mark getroffen, statt dessen musste ich mir das Lachen verkneifen. Ich hatte damals nicht viel zu lachen, glaub mir, aber darüber amüsierte ich mich sehr und freute mich schon diebisch auf den neuen Drei-Liter-BMW, den der März-Gläubigerbeirat mir zu leasen gestattet hatte. 

Ein paar Tage später kam ich aus meinem Büro in der Schwindstraße, da stand unten an der Aral-Tankstelle mein alter Jaguar auf Mattglanz poliert, und ein dunkelhaariger Typ in gelben Hosen, der ein bisschen das Bein nachzieht, umkreiste ihn wie ein Pfau. Der neue Besitzer. Na, gut, warum sollte der nicht hier tanken? Bald darauf fuhr ich den Kettenhofweg hinunter, da war der Wagen dort geparkt. Neugierig luchste ich auf das Klingelbrett des entsprechenden Hauses, darauf stand nur »Club«. Ich erkundigte mich bei meinen Freundinnen im Café Express und erfuhr: »Ach, das ist der Bartos mit dem Holzbein, ja, der macht jetzt mit der Ingrid den Puff im Kettenhofweg.« Hatte doch dieser geile Feuerstein dem Bordellier die Luxuskarosse mit dem Molykote-Motor angedreht. Ganz richtig, das ist die makabre Aktualität, die ›Bild-Zeitung‹ titelte: »Sechs Leichen im Edelbordell! Wer ist der Erdrosselte mit dem Holzbein? Ein solches Massaker gab es noch nie in Deutschland. Hat die Russenmafia zugeschlagen? Oder mordete ein Prostituiertenhasser? Nur ein schwarzer Pudel überlebte.« 

Es wird dir schon ein bisschen anders, wenn deinen Jaguar-Nachbesitzer zweiundzwanzig Jahre später die Russen-Mafia meuchelt und du erst jetzt aus den Zeitungen erfährst, warum sich solche obszönen Mengen an Büromaterialien im März Verlag ansammelten. Nach zig Flohmärkten, Wohnungsauflösungen und Müllcontaineraktionen, in denen wir uns von Abertausenden Zweckform-Formularen und Hunderten von überflüssigen Büroutensilien trennten, sind inzwischen aus dem März-Nachlaß nur noch fünfhundert Stück der ›Heico Aktenklammer 50 mm glatt‹ übrig. Ich weiß also nun, warum Peter Beitlich, als er noch bei mir arbeitete, Quittungsblocks und anderen Unsinn in solch irrwitzigen Mengen einkaufte. Ingrid Bartos betrieb nämlich zur Aufbesserung ihrer Bordelleinnahmen eine Firma für Bürobedarf. Wegen solcher Großeinkäufe ist für meinen Prokuristen sicher der eine oder andere Provisionsstich abgefallen. Und vermutlich gibt es in hundert anderen Frankfurter Firmen hundert ähnliche Eichhörnchenlager mit Tonnen von Büroklammern.

Was bleibt mir übrig, als mit Entsetzen Scherz zu treiben, wenn sich das Entsetzliche so blödsinnig arrangiert und zudem die Auslöser desselben auch noch gleich bei mir um die Ecke wohnten?! War nix mit Paten, Drogen- und Geldwäschegeschäften, wie es nach Art und Ausführung der Bluttat scheinbar feststand. In Rettenbach im Ostallgäu, keine zwanzig Minuten von Fuchstal entfernt, wo wir damals wohnten, überwältigten siebenundsiebzig bayerische Polizisten am 18. August 1994 in einem Aussiedlerwohnheim für deutschstämmige Russen das Ehepaar Sofia und Eugen Berwald. Er trug Bartos’ Rolex-Fliegerchronometer am Arm, sie hatten noch nicht einmal die Mordwerkzeuge – Elektrokabel von Haartrocknern aus dem Bordell – verschwinden lassen und verteidigten sich mit der dümmsten Ausrede seit der Erfindung des organisierten Erbrechens: Den Koffer mit den Sachen habe ihnen ein Abgesandter der Russenmafia in die Hand gedrückt.