Jörg Schröder und sein März
Verlag
Bücher, Aktionen und Business-Art-Konzepte 1967 Vormärz: Schröder macht im Melzer Verlag so verschiedenartige Titel wie Pauline Réage: ›Geschichte der O‹, Victor Klemperer: ›LTI‹ und eine Anthologie amerikanischer Underground-Gedichte ›Fuck you!‹ 1968 Schröder lädt niederländische Autoren zur Buchmesse ein. Provo-Aktion: »Pinkelet auf Springer!« (Hörprobe!) Außerdem Buchmesse-Boykott-Versuch zusammen mit Bernward Vesper und anderen »Literaturproduzenten«. 1968 Spektakulärer Coup: Schröder trennt sich handstreichartig vom Melzer Verlag, nimmt sämtliche Mitarbeiter und Autoren mit, gründet den März Verlag sowie die Olympia Press und Olympia Film (›Das farbige Banner der Pornographie‹). Im März Verlag erscheinen u. a. ›ACID‹, herausgegeben von Rolf Dieter Brinkmann, Ralf-Rainer Rygulla und gestaltet von Schröder, Valerie Solanas (die Frau, die auf Andy Warhol schoß): ›Scum – Manifest zur Vernichtung der Männer‹, Hermann Nitsch (Wiener Aktionist und ›Blut-Künstler‹): ›Orgien Mysterien Theater‹, Edgar Snow: ›Roter Stern über China‹, Siegfried Bernfeld: ›Antiautoritäre Erziehung und Psychoanalyse‹. 1970 Schröder bringt eine gefälschte Lenin-Briefmarke in Umlauf und verschickt mit ihr frankiert ein Rundschreiben an Bundestagsabgeordnete. Er gründet die Bismarc Media, eine Agentur, deren Konzept es ist, nichts Anschlußfähiges zu produzieren. Bei März erscheinen u. a. Günter Amendt: ›Sexfront‹, Leonard Cohen: ›Schöne Verlierer‹, ›Trivialmythen‹ (mit Texten u. a. von Elfriede Jelinek, Rolf Dieter Brinkmann, Wolf Wondratschek, Hermann Peter Piwitt, Friederike Mayröcker), Leslie Fiedler: ›Die Rückkehr des verschwundenen Amerikaners‹, Robert Crumb: ›Headcomix‹, Doktor Gormander: ›Als die Kinder die Macht ergriffen‹, Leroi Jones: ›Schwarze Musik‹, Michael Rumaker: ›Schwul‹, Parker Tyler: ›Underground Film‹. 1971 Alfred von Meysenbugs Pornocomic: ›Lucys Lustbuch‹ wird in einer Nacht- und Nebelaktion von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt beschlagnahmt; später werden zehntausend Exemplare eingestampft, weil die Comic-Figuren Rainer Barzel, Willy Brandt, Franz-Joseph Strauß u. a. zu ähnlich sind. Die ›Nazi-Olympiade‹ erscheint als Protest gegen die Münchner Spiele 1972. Weitere März-Bücher u. a. Jim Dine: ›Gedichte‹, David Horrowitz: ›Big Business und kalter Krieg‹, Ken Kesey: ›Einer flog über das Kuckucksnest‹. 1972 Schröder erzählt Ernst Herhaus ›Siegfried‹. Das Buch wird mit zahlreichen einstweiligen Verfügungen und Klagen überzogen, die einige Landgerichte und zwei Oberlandesgerichte beschäftigen. Schröder gewinnt die Prozesse – bis auf einen, ›Siegfried‹ kann mit geringfügigen Schwärzungen wieder erscheinen. Weitere März-Bücher u. a. Carlos Castaneda: ›Die Lehren des Don Juan‹, Frantz Fanon: ›Für eine afrikanische Revolution‹, Willi Münzenberg: ›Propaganda als Waffe‹. 1973 Die Deutsche Bank verhindert das Erscheinen des ›Omgus-Berichts‹, der März Verlag meldet Konkurs an. Schröder schreibt mit Otto Jägersberg das Drehbuch für ›Immobilien‹ (ZDF, Fernsehspiel der Gegenwart). 1974 bis 1976 Der März Verlag wird neu gegründet, Schröder vertreibt bis 1976 in großen Auflagen Reprints der alten März-Titel beim Versender Zweitausendeins. 1977 Schröder bearbeitet das Rohmanuskript der ›Reise‹ von Bernward Vesper und gibt das Buch aus dem Nachlaß heraus. ›Die Reise‹ wird im ›Deutschen Herbst‹ ein Bestseller und zum »Nachlaß einer Generation«, ›Weltwoche‹, Zürich. 1978 bis 1979 Keine Aktionen und Skandale, dafür zahlreiche neue März-Bücher u. a. Manfred Esser: ›Ostend-Roman‹, Huguette Couffignal: ›Die Küche der Armen‹, der Essay des ›Spiegel‹-Redakteurs Christian Schultz-Gerstein: ›Doppelkopf‹, Uve Schmidt: ›Ende einer Ehe‹, Jules Vallès: ›Jacques Vingtras. Das Kind. Die Bildung. Die Revolte‹. 1980 Politskandal: Schröder entdeckt die Depots von Mininukes entlang der Zonengrenze, welche in sogenannten »Wasserwerken« lagern, erzählt davon in ›Transatlantik‹ und der ›taz‹. Verfassungsschutz und CIA reagieren panisch, der ›Stern‹ steigt ein mit ›Atomrampe Deutschland‹, Beginn der neuen Friedensbewegung. März-Bücher u.a. Peter Kuper: ›Hamlet‹, Upton Sinclair: ›Der Dschungel‹.
1981 Im März
tritt Barbara Kalender bei März ein und arbeitet dort zusammen mit Jörg
Schröder in allen Verlagsbereichen. Skandal nach dem Skandal: Schröder
verhohnepiepelt in ›Cosmic‹ Öko-Paxe und die späteren ›Grünen‹. März-Titel
u. a. Isabelle Eberhardt: ›Sandmeere‹, Wolfgang Neuss/Gaston Salvatore:
›Der Mann mit der Pauke‹. Schröder trennt sich von Zweitausendeins
wegen deren Hinwendung zur Ohne- (›Sehen ohne Brille‹, ›Backen ohne
Ei‹) und Mit-Literatur (›Ufos – Wir sind nicht allein‹).
1982 bis 1985 Der März Verlag wieder im Buchhandel. Titel u. a. Kenneth Patchen: ›Schläfer erwacht‹, Upton Sinclair: ›Am Fließband‹, Douglas Milburn: ›Kindesmord‹, Ralph Ellison: ›Unsichtbar‹, ›Mammut – März-Texte 1 & 2‹, Gunnar Heinsohn/Otto Steiger: ›Die Vernichtung der weisen Frauen‹ und Gunter Schmidt: ›Das große DER DIE DAS über das Sexuelle‹. Barbara Kalender und Jörg Schröder spielen sich selbst in der Spieldokumentation ›Die März-Akte. Einblicke in die Literaturszene‹ (BR, Adolf-Grimme-Preis 1986) 1986 bis 1989 »Die beste Rettungsanzeige seit der Bergpredigt« (›Spex‹), März-Rettungsdienst-Anzeigen mit Schuhputz-Aktion während der Buchmesse. Schröder übernimmt Gastdozenturen an den Universitäten Siegen (FB Germanistik) und Kassel (FB Visuelle Kommunikation). Jörg Schröder erleidet zwei Herzinfarkte, der März Verlag wird liquidiert. Das Schiller-Nationalmuseum / Deutsche Literaturarchiv Marbach kauft das MÄRZ-Verlagsarchiv. Jörg Schröder entwickelt mit Barbara Kalender das Konzept zu ›Schröder erzählt‹. 1990 bis 1998 Die erste Folge von ›Schröder erzählt: Glückspilze‹ erscheint im Mai 1990. In den folgenden Jahren konzentrieren sich Kalender und Schröder auf dieses Erzählprojekt. 1998 Jahresausstellung des Schiller-Nationalmuseums / Deutsches Literaturarchiv: ›Protest! Literatur um 1968‹. Die März-Autoren, das Verlagskonzept und Schröders Herausgaben und literarische Arbeiten nehmen in der Ausstellung und dem sie begleitenden Katalog einen bedeutenden Platz ein. Kalender und Schröder beginnen mit den Ordnungsarbeiten im Marbacher März-Archiv und dem angefügten Bernward-Vesper-Archiv. 1999 Die Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) verlangt von Schröder die Rückzahlung von Pauschalen, die sie für die Folgen von ›Schröder erzählt‹ bezahlt hatte, weil es sich dabei angeblich um Bellestristik handele und nicht um Sachbuchtitel. 2000 Die 40. Folge ›Languages spoken‹ von ›Schröder erzählt‹ kommt heraus, damit wird die ›weiße Serie‹ wie geplant abgeschlossen. Fortsetzung des work in progress mit der ›schwarzen Serie‹. 2001 Das Deutsche Literaturarchiv Marbach übernimmt das ›Schröder erzählt‹-Archiv aus den Jahren 1990 bis 2000. ›Willkommen!‹, die erste Folge der ›Schwarzen Serie‹ erscheint. 2003 bis 2004 Die Klage der VG Wort gegen Schröder wird nach vierjähriger Prozessdauer vom Landgericht München I abgewiesen. Die VG Wort legt Berufung beim OLG München ein, die ebenfalls abgewiesen wird. Damit unterliegt die VG Wort endgültig in diesem Rechtsstreit. Im area verlag kommt eine gelb-rot-schwarze März-Kassette heraus. Sie enthält 22 Nachdrucke aus der Verlagsproduktion. Weitere Neuauflagen: ›ACID. Neue amerikanische Szene‹, Hrgb. von R. D. Brinkmann und R.-R. Rygulla, im Originalformat. 2005 Umzug nach Berlin.
2006 Das Deutsche
Literaturarchiv Marbach übernimmt das ›Schröder erzählt‹-Archiv
aus den Jahren 2001 bis 2005. Die tageszeitung richtet Autorenblogs ein, zu
den ersten gehört ›Schröder & Kalender‹. In Köln wird die
Ausstellung ›Außerordentlich und obszön. R.D. Brinkmann und die
Pop-Literatur‹ gezeigt. Es gibt einen speziellen März-Raum. Schröder &
Kalender gestalten Key-Visual und Drucksachen.
2007 Bei absolut
medien erscheint die ›März Akte‹-DVD (90 Min.) mit dem Bonusteil ›NachMärz‹
(40 Min.) Barbara Kalender und Jörg Schröder im Gespräch mit Mathias Bröckers,
darin geht es um die Zeit von 1986 bis 2007. In Köln wird die
Ausstellung ›Pop am Rhein‹ gezeigt, wiederum mit vielen März-Exponaten.
Schröder & Kalender gestalten Key-Visual und Drucksachen zusammen mit
Till Kaposty-Bliss.
2008 Im Feuilleton der
›jungen Welt‹ schreiben Schröder & Kalender wöchentlich eine
Kolumne. Zum 70. Geburtstag von Jörg Schröder erscheinen die Jubiläumskassetten
von ›Schröder erzählt‹ – 50 Folgen und fünf Treuegaben, signiert und
limitiert – beim Kommissionsverleger Martin Schmitz.
2009 Der neue Berliner
Kunstverein ( n.b.k.) zeigt im Showromm anlässlich des 40jährigen Jubiläums
des Verlags ›Die März-Tapete‹, Kurator: Marius Babias.
2011 ›Immer radikal,
niemals konsequent. Der März Verlag – erweitertes Verlegertum, postmoderne
Literatur und Business Art" von Jan-Frederik Bandel, Barbara Kalender
und Jörg Schröder erscheint bei Philo Fine Arts. Das Buch enthält die erste
vollständige Bibliografie sämtlicher März-Erstausgaben nach Autopsie mit
farbigen Abbildungen aller Titel.
2013 Die März
Gesellschaft e.V. wird gegründet. Im September erscheint im Verbrecher Verlag
›Kriemhilds Lache – Neue Erzählungen aus dem Leben‹, illustriert mit
farbigen Zeichnungen von F.W. Bernstein.
2014 ›Erwähnungsgeschäft‹,
Festschrift und Treuegabe zur 60. Folge von ›Schröder erzählt‹
erscheint mit Beiträgen von Jan-Frederik Bandel, Diedrich Diederichsen,
Albrecht Götz von Olenhusen, Henning Herrmann-Trentepohl, Wolfgang
Raible und Georg Stanitzek. Herausgegeben von Barbara Kalender und Jörg
Schröder. Titelillustration: Roy Lichtenstein, Red Lamps, (Interiors),
1990. © VG Bild-Kunst, Bonn 2014. 1. Druck im März 2014, 120 Seiten. Die
Seiten haben wir anlässlich dieser Jubiläumsausgabe von Hand
abwechselnd in einen weißen, roten, gelben, blauen, grünen oder schwarzen
Chromolux-Karton, 250 g/qm,gebunden, um damit an die Einbandfarben der
verschiedenen Serien und Treuegaben zu erinnern.
2016 Die Wiegendruck-Ausgabe von ›Schröder erzählt‹ wird angekündigt. Im Mai wurde die MÄRZ Gesellschaft e.V. in den Dachverband ›Arbeitsgemeinschaft literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten‹ (ALG) aufgenommen. 2018: Die letzte Folge von ›Schröder erzählt: Der Glücksgott‹ wurde ausgeliefert. Im September erscheint eine Neuausgabe von ›Siegfried‹ im Frankfurter Verlag Schöffling & Co. Am 24. Oktober wird der Verleger 80 Jahre alt. |