Business Art
Bismarc Media, eine Agentur, deren Aufgabe es sein sollte, nicht oder noch nicht anschlussfähige Konzepte zu entwickeln.
Im Mai 1970 sagte ich zu Uve Schmidt, der im Verlag als Projektentwickler arbeitete: »Ich stelle mir eine kryptische Agentur vor, wir nennen sie Bismarc Media, und entwickeln nur Konzepte. Dazu schaffen wir einen exklusiven äußeren Rahmen: ein Büro mit kühlem Design und einer Atmosphäre der Stille.« Uve nickte. »Aber für die Bismarc Media brauchen wir einen Manager«, fuhr ich fort, »der nur hin und wieder etwas Intelligentes andeutet – aber keine Statements über die Firma abgibt. Immer, wenn die Rede darauf käme, müsste er vereisen, unnahbar werden. Wer könnte so etwas machen? Ich glaube, den gibt es gar nicht!« Uve verzog das Gesicht, dann sagte er: »Vielleicht könnte Ernst Herhaus das durchziehen, der ist so verrückt.« Ich gab ihm recht.
Bevor ich Ernst anrief, überlegte ich mir: Was erzählst du ihm? Ich konnte doch nicht sagen: »Ernst, du bist verrückt, deshalb setze ich dich in die Bismarc Media und zahle dir fünftausend Mark im Monat, dafür darfst du aber nichts tun.« Hätte ich das nur gemacht! Es ist doch immer wieder der Kardinalfehler, dass man seine besten Ideen verwässert, weil man als kapitalistisch konditionierter Krüppel fünf Sekunden vor der richtigen Entscheidung zurückrudert und versucht, die Sache anschlussfähig zu machen. Denn ich wollte ja mit der Bismarc Media eine Antithese für das pure Gewinnstreben der Verlage schaffen. Diese Idee entsprach meinem unausgesprochenen Wunsch nach Einführung einer induktiven Krise. Den Bann, lediglich Profit zu machen, sollte die Bismarc Media brechen. Was ich wollte, war Business-Art avant la lettre.
Herhaus war fasziniert von der Idee und dem horrenden Gehalt, nahm den kryptischen Job sofort an und entwickelte Konzepte, aber sobald eine Sache anfing, verwertbar zu scheinen, sagte ich: »Stopp, schon faul!« So wurde Bismarc Media zur kryptischen Agentur mit einer Aura von Bedeutsamkeit. Aber selbst antikapitalistische Ideen brauchen im Kapitalismus Kapital. Es war klar, dass ich keine Bank finden würde, die mein AV-Konzept finanzieren würde. AV, so lautete 1970 die Abkürzung für audiovisuelle Medien. Deshalb gründete ich zusätzlich zur deutschen GmbH in Frankfurt noch die Bismarc Media SA in Genf und verbreitete, dass ein ungenannter Kapitalgeber hinter ihr stehe, der dem März Verlag in Frankfurt Entwicklungskosten in Millionenhöhe für das Video( ! )-Programm »Kritische Organisation von Praxis« ( kurz KOPRA ) zur Verfügung stelle.
So stand es im Branchendienst ›Kress-Report‹ und erschreckte die Bertelsmann-, Holtzbrinck- und Springer-Manager, die sich aber schnell beruhigten und darüber einig waren, dass die Zeit für diese neuen Medien noch nicht reif sei. Das wusste ich auch, aber ich wollte Know-how ansammeln, Programme produzieren, die, wenn die Zeit reif wäre, sofort verwertet werden konnten. Ich wollte einfach der Erste sein. Meine Idee war: Ich hänge einen Faden in die Medienursuppe, daran werden sich die Geldgeber wie Kristalle ansetzen. Wie es später in der IT-Blase ja tatsächlich funktionierte, als man für jeden Dotcom-Unsinn Geld bekam.
Wenn so was klappt, ist man ein bedeutender Entrepreneur, wenn nicht, ein Hochstapler. Nur hätte ich damals diese Masche besser nicht mit neuen Medien, sondern lunkewitzmäßig mit Immobilien häkeln sollen. Bei Medien läuft es eben anders, da klopft keiner an und sagt: »Schröder, ich gebe dir Geld, entwickle mal ...« Vielmehr fläzten sich die Manager in ihren Drehsesseln und feixten: »Sollen sie dir das doch finanzieren, deine anonymen Schweizer Partner. Wenn es gut ist, was du auf deren Kosten machst, übernehmen wir das Konzept und sparen die Entwicklungskosten.«
Heute weiß ich das, 1970 wußte ich es noch nicht. Die Bismarc Media bezog die fünfte Etage im Frankfurter Westend über dem März Verlag. Ein fashionables Büro mit Warhols und Lichtensteins Silkscreens an den Wänden. Und im Chefzimmer saß der schwer- intellektuelle Ernst Herhaus, er hatte vorher eine Zeitlang als Editor bei Harbridge House Inc. gearbeitet, einer Beratungsfirma, die sich mit dem »Managen des Managements« beschäftigte. Im Umfeld dieser Tätigkeit hatte Ernst Managementberater kennengelernt, pflegte Kontakte zu solchen Wirtschaftsinnovateuren und besülzte sie in der Sprache der Kritischen Theorie. Er war ja eng mit Max Horkheimer befreundet und beherrschte die Terminologie perfekt. Insofern war Ernst auch die richtige Wahl für meine Agentur, die ich ein Jahr später wieder auflöste. Was von ihr blieb, ist reine Literatur, bevor wir die Agentur schlossen, erzählte ich Ernst Herhaus ›Siegfried‹. Also hat die Bismarc Media ihre ursprüngliche Zielvorstellung doch erfüllt.
1985 schrieb Diedrich Diederichsen in einem Aufsatz für den ›Spiegel‹: »So wie Schröder in seinen Erzählungen immer wieder das Geschäftliche an der Kultur hervorkehrt, so betreibt er selber bizarre literarische Geschäfte in verschiedenen literarischen Genres. Einmal hatte er eine Agentur gegründet, die ›Bismarc Media‹, deren Aufgabe es war, nichts zu produzieren. Der Geschäftsführer sollte bloß hochtrabend daherschwafeln, aber nie konkret werden. Leider hielt keiner der angestellten Geschäftsführer dies lange durch. Früher oder später fingen sie an, sich Projekte auszudenken. Auf jeden Fall ein klarer Fall von Konzept-Kunst, von konkreter Poesie in Finanzen.Und das Jahre bevor Baudrillard überall seinen philosophischen Horror vor dem Produzieren verbreitet.«
Und nun zu einem Treppenwitz – nein, eher zu einem über Trittbrettfahrer: Sechzehn Jahre nach der Realisierung meines Konzepts gründete der Journalist und Autor Helmut Höge eine eigene ›Bismarc Media‹ – natürlich ohne mich zu fragen. Dreist, wie der Bursche ist, rückte er in sein Buch ›Babelsberg‹, das er ebenfalls unter dem Autorennamen ›Bismarc Media‹ veröffentlichte, eine editorische Notiz ein: »Bismarc Media (19 wiedergegründet) ist eine Agentur wie so ziemlich jede andere auch; sie beschäftigt sich vorwiegend, um nicht zu sagen ausschließlich, mit dit und dat (Singularitäten), schon allein aus Neugier und Interesse, aber auch, weil sich immer wieder, quasi naturwüchsig, die Notwendigkeit zum Geldverdienen einstellt. Das Motto der hier vorliegenden Textsammlung versucht diesem Doppelmotiv Rechnung zu tragen: ›Bildet Bände!‹ Das Künstlerhaus Bethanien hat dieses Buch im Rahmen eines internationalen Atelierprogramms finanziell gefördert. Es erscheint zum Abschluß des einjährigen Arbeitsaufenthaltes der Agentur Bismarc Media im Künstlerhaus.«
Eine seiner Helfershelferinnen in der sogenannten Künstlergruppe ›Bismarc Media‹, die Journalistin Sabine Vogel schrieb dazu in der ›Berliner Zeitung‹ vom 17. Januar 2009: »Der West- Berliner Kultursenat (CDU) hatte das Projekt mit 7000 Mark gefördert. ›Besser machen‹ lautete der Obertitel. Das Motto entstammte einem Zitat von Bismarck, weshalb wir uns für die Dauer des Projekts Bismarc Media nannten.« Alles in allem ein klarer Fall von Diebstahl einer künstlerischen Trademark.
© ›Der März Verlag – Geschichte und Geschichten‹ von Barbara Kalender und Jörg Schröder aus dem Buch ›Immer radikal, niemals konsequent. Der März Verlag – erweitertes Verlegertum, postmoderne Literatur und Business Art‹, das bei Philo Fine Arts erschien und Jan-Frederik Bandels Essay
›NachMärz oder Eine kleine März-Geschichte der Bundesrepublik‹ enthält. Komplett wird der Band durch die erste vollständige und verlässliche Verlags-Bibliografie nach Autopsie mit der Abbildung sämtlicher März-Cover.
Literatur (Auswahl):
Jörg Schröder erzählt Ernst Herhaus, ›Siegfried‹, März Verlag, Frankfurt a. M., 1972 (siehe Antiquariatsliste)
Diedrich Diederichsen, Ohne Titel. Aufsatz für den Spiegel, 1985 (dort nicht veröffentlicht). Veröffentlicht in den MÄRZ-Vorinformationen für Buchhandel und Presse, Juli bis November 1985 (siehe Antiquariatsliste)
Diedrich Diederichsen, ›Jörg Schröder. Der Verleger als Schamane und Schuhputzer‹, SPEX. Musik zur Zeit, Nr. 12/1986
Helmut Höge, ›Agentur in der induktiven Krise. Das Nichts im Getriebe: Jörg Schröder, Erfinder der Business Art, des erweiterten Verlegertums und der Firma ohne Geschäftsbereich. die tageszeitung (Berlin - Kultur), 7. März 1991
›Schröder erzählt: Offene Posten‹, 29. Folge der Weißen Serie, 1997 März Desktop Verlag
Jan-Frederik Bandel, Barbara Kalender und Jörg Schröder, ›Immer radikal, niemals konsequent. Der März Verlag – erweitertes Verlegertum, postmoderne Literatur und Business Art‹ (s. o. Copyright)
Wolfgang Müller, ›Subkultur Westberlin 1979 – 1989. Freizeit‹, Fundus 203, Philo Fine Arts, 2013
Georg Stanitzek, ›März & Gespenster‹ im ›Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, Februar 2013
|